Villa Pakheiser in Mannheim

Werderstraße 36
68165 Mannheim

Das zweigeschossige mit hellem Sandstein verkleidete Gebäude, das auf einem roten Sandsteinsockel steht, zählt in der Oststadt zu den wenigen Bauten des Historismus, die den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden haben. Nur der Helm des mächtigen Turms, der sich über dem repräsentativen Treppenhaus erhebt, gehört zu den Kriegsverlusten des Hauses. Eine Vielzahl von An-, Aufbauten und üppige Bauzier gereichen den Fassaden zu einer erstaunlichen Lebendigkeit: Giebel, Balkone, Brüstungsreliefs, Schlusssteinen, Fialen, Bekrönungen, Lisenen, Säulen und Gesimse, Veranda und Wintergarten. Die im Stil des Historismus charakterisierten An-, Auf- und Umbauten spiegeln dem Betrachter eine lange Bauphase mit historischer Zeitdauer vor.

Das steile Dach ist mit regelmäßigen Naturschieferplatten eingedeckt.

An der Südseite befindet sich der Haupteingang für die Bauherrschaft, der ins großzügige Treppenhaus führt, und daneben ein etwas schmalerer für das Dienstpersonal. Die schönen hölzernen Kassettentüren sind erhalten geblieben. Im ersten Obergeschoss zeugen die historischen, mittlerweile wärmedämmend aufgerüsteten Fenster von Nachhaltigkeit und Qualität.

Nach Erwerb der Villa durch die Gesellschaft "Räuberhöhle" im Jahre 1957 wurde das Erdgeschoss weitgehend entkernt, um einen großen Saal für die zahlreichen Vereinsmitglieder einrichten zu können. Das Fundament musste dafür verstärkt werden. Den Umbau leitete der Mannheimer Architekt und Altstadtrat Fritz Henning (1908-1982), der selbst auch Mitglied der Räuberhöhle war.

Nutzung (ursprünglich)

Wohnhaus

Nutzung (derzeit)

Vereinshaus der Gesellschaft „Räuberhöhle”

Geschichte

Die Stadterweiterung Mannheims über die Ringstraßen hinaus war um 1900 erst in den Anfängen fortgeschritten. Bis zum Ersten Weltkrieg war aber schließlich nahezu die gesamte Fläche zwischen dem Friedrichsring und der Werderstraße bebaut. Das Gebäude Werderstraße 36 zählt zu den ältesten Villen in der Straße. Bis 1910 folgten die Villen Smreker, Reuther, Engelhorn, Darmstädter, Stinnes und Röchling - alles namhafte Mitglieder des Mannheimer Großbürgertums.

Die Entwurfszeichnungen für die Villa stammen von den beiden bekannten Mannheimer Architekten Josef Köchler (1848-1928) und Georg Anton Karch (1856-1937), die ihr Büro in E 4 in der damals neuen Börse hatten. Auch dieses heute als städtische Musikschule genutzte Gebäude stammt von Köchler & Karch.

Gebaut wurde die Werderstraße 36 als Einfamilienhaus von dem Kaufmann Paul Pakheiser (geb. 1863), der - gebürtig aus Seeburg in Ostpreußen - im Juli 1889 nach Mannheim ins Quadrat B 6,20 zugezogen war. Er hatte in Heidelberg im April desselben Jahres Mathilde Pfeffer (geb. 1871), gebürtig aus Gießen, geheiratet. Aus der Ehe gingen die Töchter Mathilde Bertha (geb. 1890), Mathilde Paula (geb. 1891) sowie die Söhne Paul Theodor (geb. 1893) und Johann Paul Theodor (geb. 1898) hervor. Im Neubau in der Werderstraße lebten zudem noch zwei im Dienste der Familie Pakheiser stehende Kutscher.

Paul Pakheiser war Mitinhaber der Mannheimer Petroleum Importfirma, die ihr Lager an der Neckarspitze hatte. Später firmierte das Unternehmen als Mannheim-Bremer Petroleum Aktiengesellschaft. Die Firma handelt mit Petroleum. Ihr gehörten die zahlreichen großen Tanks an der Neckarspitze im Petroleumhafen, was für eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung des Unternehmens spricht. Auch nach dem Verkauf der Villa im Jahre 1912 und Wegzug nach Heidelberg blieb Pakheiser Direktor der Petroleum AG.

Pakheiser scheint recht vermögend gewesen zu sein. Das Grundstück war ursprünglich doppelt so groß wie heute und damit nur unwesentlich kleiner als das Nachbargrundstück der Familie Engelhorn in der Werderstraße 44-46. Auch die Fläche der Sophienstraße 2-6, wo ein großes Stallgebäude für Pferde stand, gehörte bis 1927 dazu. Nach Übergang des Anwesens an den Fabrikanten Paul Reiss hat dieser die Teilfläche Sophienstraße 6 an die Mannheimer Bauunternehmung L.Hanbuch & Söhne veräußert, die hier im Jahre 1928 einen Neubau errichtete und ihren Firmensitz einrichtet. Im Jahre 1983 verkaufte die Gesellschaft "Räuberhöhle" mit der Sophienstraße 4 eine weitere Teilfläche, die ebenfalls bebaut wurde. Heute ist das Areal demzufolge in drei eigenständige Grundstücke aufgeteilt und mit Wohnhäusern verdichtet.

Neben seiner Tätigkeit für die Petroleum AG war Pakheiser auch noch Mitinhaber der Deutschen Holzwarenfabrik, die sich auf Wirtschaftsmöbel und komplette Zimmereinrichtungen spezialisiert hatte, also Innenausbau im Schreinerhandwerk betrieb. Diese Firma hatte ihr Geschäftslokal in P 5,10 und fabrizierte vermutlich in Wieblingen bei Heidelberg.

Interessant ist auch, dass das Anwesen Werderstraße 36 um 1900 bereits über zwei Telefone verfügte: das in der Villa hatte die Telefon-Nr. 5 und war damit sicherlich eines der frühesten in Mannheim. Aber sogar im Pferdestall gab es einen Telefonanschluss. Pakheiser muss somit ein technikinteressierter Zeitgenosse gewesen sein.

Im Jahre 1912 verkaufte Pakheiser das Grundstück an die Witwe Bertha Bensinger (1844-1927), die als Tochter des Buchändlers und Verlegers Jacob Bensheimer (1807-1863) einen äußerst interessanten familiengeschichtlichen Hintergrund hat. Ihr Vater zählt zu den berühmten Persönlichkeiten der Jüdischen Gemeinde in Mannheim. Die Politikerin und Frauenrechtlerin Alice Bensheimer (1864-1935) war ihre Schwägerin. Durch die Ehe mit dem jüdischen Industriellen Julius Friedrich Bensinger (1841-1891), dem früh verstorbenen Mitbegründer der Rheinischen Gummi- und Celluloid-Fabrik, gehörte Bertha Bensheimer zu einer der vornehmsten Industriellenfamilien Mannheims. Die Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik war damals mit 6000 Mitarbeitern immerhin größter Arbeitgeber in der Region.

Die Erben veräußerten das Gebäude im Jahre 1927 für 130.000 RM an den jüdischen Zigarrenfabrikanten Paul Reiss, der im Mannheimer Wirtschaftsleben ebenfalls kein Unbekannter ist. Mitte 1938 musste Reiss mit seiner Familie nach Amsterdam fliehen. Er versuchte, von dort aus Haus und Grundstück zu verkaufen. Mit Vertrag vom September 1938 ging das Anwesen für 85.000 RM an den Reichsfiskus über. Ein behördeninternes Gutachten hatte allerdings den Wert auf das Dreifache, nämlich auf 240.000 RM geschätzt. Vermutlich musste Reiss einen großen Teil der mobilen Ausstattung bei seiner Flucht zurücklassen. Ob er das Geld für den Verkauf tatsächlich erhalten hat, bleibt offen. Denn die Gestapo hatte alle seine Konten bei der Deutschen Bank Filiale Mannheim sperren lassen. Sowohl Paul Reiss als auch sein ältester Sohn Georg kamen später im Konzentationslager um: Paul im KZ Bergen-Belsen, Georg im KZ Mauthausen bei Linz.

Nach Übergang der Villa 1938 an das Reich wurde sie von der Schutzpolizei und zwar vom Abschnitt Kommando Süd übernommen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte das Gebäude noch für fünf Jahre das zweite Polizei-Revier, bevor es an die in Holland lebende Alteigentümerin Else Reiss und deren Sohn Peter Reiss zurückgegeben wurde. Da beide aber nicht mehr nach Deutschland zurückkehrten, wurden Haus und Grundstück zum Verkauf angeboten.

Im Jahre 1957 erwarb die Gesellschaft "Räuberhöhle", die ihre bisherige Lokalität in M 7,7 durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg verloren hatte, das Anwesen und nahm sich mit umfangreichen Umbauten im Innern des Gebäudes an. Unter anderem wurden im Erdgeschoss fast sämtliche Trennwände abgebrochen und der große Höhlensaal nach Plänen des Architekten Fritz Henning eingerichtet.

Im November 2013 wurde im feierlichen Rahmen der "Räuberhöhle" für die vorbildliche Außensanierung der Denkmalpreis des Vereins Stadtbild Mannheim übergeben.

Eigentümer
Gesellschaft "Räuberhöhle"
Erbauer
Paul Pakheiser
Architekt
Architekturbüro Josef Köchler & Georg Anton Karch
Bauzeit / Umbauten
1900; Umbau 1957 nach Plänen des Architekten Fritz Henning (Mannheim)
Quellen:
  • Mannheim und seine Bauten, Mannheim 1906, S. 318, 333
  • Die Räuberhöhle zu Mannheim. 125 Höhlengeschichte 1839-1964, Mannheim 1964
  • Die Feier des 125.Stiftungsfestes der Räuberhöhle. Ein Nachtrag zur Chronik, Mannheim 1964
  • Räuberhöhle Mannheim 1964-1990, Mannheim 1990
  • Die Villa eine Räuberhöhle - die Räuberhöhle eine Villa. Die wechselvolle Geschichte des Hauses Werderstraße 36 (Manuskript im Stadtarchiv Mannheim Sign. 2013 B/166)
  • Ferdinand Werner: Mannheimer Villen, Worms 2009
  • Räuberhöhle zu Mannheim. Festschrift 175 Jahre Räuberhöhle, Mannheim 2014
Denkmalschutz
Ja
Zufahrt

ÖPNV: Buslinien 60 oder 63 (Haltestelle Augustaanlage)

Öffnungszeiten

öffentlich nicht zugänglich

Barrierefrei
Nein
Autor*in
Monika Ryll
Letzte Änderung

Quelle: www.rhein-neckar-industriekultur.de/objekte/villa-pakheiser-in-mannheim