Presse

Schreiber nimmt dir alle Sorgen

WOCHENBLATT Mannheim

Die Erfolgsgeschichte eines Lebensmittelhändlers in Neckarau. Von Veith Lennartz

Wir schreiben das Jahr 1850. Es ist die Zeit des demokratischen Aufbruchs. Gleiches Wahlrecht für alle wird gefordert, Handelsschranken sollen fallen, und die Kleinstaaterei soll ein Ende finden. In wenigen Jahren wird die Mannheimer Akte für freie Schifffahrt auf dem Rhein von Basel bis ans Meer sorgen. In der Quadratestadt beginnt ein wirtschaftlicher Aufschwung, noch leben in Mannheim nur 25.000 Menschen.

Die Gelegenheit scheint günstig für Johann Schreiber. In T 1,6, am damaligen Neckartor, gründet er ein Handelsgeschäft mit Kolonialwaren, und im Laufe der Jahre häuft er ein kleines Vermögen an. 1881 übernehmen seine Söhne Georg, Konrad und Heinrich das Geschäft, 60.000 Einwohner zählt Mannheim inzwischen, Tendenz steigend. Entsprechend rasant geht es bei Schreibers aufwärts, zahlreiche Filialen werden in den verschiedenen Stadtteilen und später auch in den Nachbargemeinden Ludwigshafen, Speyer, Schwetzingen, Heidelberg, Weinheim und Viernheim eröffnet. Über ihren Großhandel beliefern die Schreibers inzwischen auch Württemberg und Bayern.

Weil das Haus in T 1,6 zu klein geworden ist, kommen die Häuser 7 und 8 dazu und werden zu fünfstöckigen Lagergebäuden umgebaut. Doch die Firma platzt aus allen Nähten, und so beschließt man einen Neubau. Der soll verkehrstechnisch günstig liegen, und da kommt das Grundstück in Neckarau an der Rheintalbahn wie gerufen. Ende 1913 ist Baubeginn, bei Kriegsausbruch 1914 steht der Rohbau, aber mangels Arbeitskräften wird das Gebäude erst 1917 fertig.

Auf 12.000 Quadratmetern ist modernste Logistik entstanden mit Warenaufzügen und internen Transportmitteln zum Be- und Entladen und Stapeln. Auf dem Hof ist Platz für Autos und Pferdefuhrwerke. Und das alles gibt es im neuen Areal: eine Kaffeerösterei für Bohnenkaffee, eine Anlage zur Herstellung von Malzkaffee, eine Sauerkrautfabrik mit Bottichen für je 50 Zentner und eine Wein- und Apfelweinkelterei. Außerdem werden Lebensmittel für den Einzelhandel verpackt.

Und so hat sich Schreiber 1937 im Mannheimer Adressbuch vermarktet: „Die Hausfrau spricht: was koch ich morgen? Schreiber nimmt dir alle Sorgen. Urahne, Großmutter, Mutter und Kind wissen, wo Schreiberläden sind. Jeder Zweifel ist verschwunden, Schreiber leistet Dienst am Kunden.“

Mannheim hat übrigens inzwischen 280.000 Einwohner.

Nach dem Zweiten Weltkrieg geht es gleich weiter und steil bergauf. Man kauft beim Schreiber – oder auch beim Konsum. Der Konsum wird später zu co-op, und dieser co-op kauft die Schreiber-Filialen zu einer Zeit auf, als es für den Einzelhandel eng wird auf dem Markt, mit stetig wachsender Konkurrenz. 120 Jahre Schreiber gehen zu Ende. Und ausgerechnet mit co-op geht Schreiber schließlich auch unter. Managementfehler haben das Unternehmen ruiniert.

Der Gebäudekomplex in der Fabrikstationstraße in Neckarau wird von der Fleischfabrik Müller aufgekauft. Heute sind eine Fleischwarenfabrik, verschiedene Firmen, das Fotostudio und Atelier „Fabrikstation“ und Schulungsräume in den Gebäuden untergebracht. Donnerstags ist für alle Wurst- und Fleischverkaufstag.

Das große dreistöckige Lagerhaus ist am besten von der anderen Seite der Bahnlinie, der Siemensstraße aus zu sehen. Die Fassade gleicht ein wenig einem griechischen Tempel, farblich außergewöhnlich schön mit Orangetönen und Grau gestaltet und mit weißen Putzornamenten verziert. Ein Schmuckstück inmitten eines grauen Industrie-Areals und ein Stück Mannheimer Geschichte.

Was wird aus der Kauffmannmühle?

WOCHENBLATT Mannheim

Um 1900 war Mannheim größtes Mühlenzentrum Süddeutschlands. Von Veit Lennartz

Vor allem der Bau des Industriehafens wirkte wie ein Magnet auf die Branche, es gab genügend Platz für die riesigen Mühlen- und Speichergebäude und der Rhein war ein idealer Transportweg. Sechs Mühlen säumten allein die Ufer des Industriehafens, Namen wie Goldpuder oder Aurora machten Produkte aus Mannheim europaweit bekannt. Kauffmannmühle, Germania Mühlenwerke, Pfalzmühle, Parkmühle, Hildebrandmühle, Hubermühle, Rheinmühlenwerke und Bunge – ehemals Verein deutscher Ölfabriken – so lauten die Namen und die meisten Mühlen sind noch in Betrieb.

Die riesige Kauffmannmühle, mit dem massiven Silo und den ehemaligen Mahl- und Verwaltungsgebäuden am Verbindungskanal im Jungbusch spielt in Mannheim eine besondere Rolle. Was hat dieser Bau nicht für Fantasien beflügelt: Eventcenter, Lofts, schickes Wohnen am Hafenbecken, es wurde entworfen, geplant und verhandelt. Heute steht die alte Kauffmannmühle baufällig am Rande des Kiez‘, rottet mit jedem Jahr mehr vor sich hin und bremst die Entwicklung am Verbindungskanal, wo Popakademie, Musikpark und Studentenwohnheime Akzente setzen. Nur im ehemaligen Verwaltungsgebäude haben sich die Internet-Firma digi-info, Radio Sunshine und die Künstlerinitiative zeitraumexit niedergelassen.

Die Kauffmannmühle war die erste der sechs dampfgetriebenen Mannheimer Mehlmühlen. Angefangen hat alles mit dem Handelsgeschäft für Material-, Farb- und Spezereiwaren, das der Heidelberger Händler Eduard Kauffmann in Mannheim 1839 eröffnete. Seine Söhne betrieben eine Mühle im Schriesheimer Tal, ein Standort, der sich bald als ungünstig herausstellte. Man wuchs und brauchte immer mehr Getreide aus der ganzen Welt – der Transportweg war vor allem das Wasser. Deshalb zog man 1883 in den Hafen nach Mannheim, wo ja auch schon der Vater aktiv war.

Das riesige, 30 Meter hohe Silo aus gelbem und rotem Sandstein hatte Kammern für 70.000 Zentner Getreide. Gegenüber entstand das Verwaltungsgebäude und daneben an der Ecke Hafenstrasse und Böckstrasse das eigentliche Mühlengebäude. Die Konkurrenz schlief natürlich nicht und so musste rationalisiert werden. Es kam zu Konzentrationen. Die Pfälzischen Mühlenwerke – eine Großmühle im Industriehafen – beteiligte sich in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts maßgeblich am Grundkapital. Die Kauffmanns hatten nicht mehr viel zu sagen, durften aber im Aufsichtsrat Platz nehmen.

Obwohl so riesig und ein offensichtliches Ziel für Angriffe, überstand die Kauffmann-Mühle den Zweiten Weltkrieg ohne nennenswerte Schäden. Die Produktion wurde wieder aufgenommen, die Geschäfte liefen gut, aber dann kamen Vorschriften zur Strukturanpassung wegen Überkapazitäten. Das Aus kam 1960 nach 77 Jahren. Die Marke „Rheingold”, die das Werk bekannt gemacht hatte, verschwand.

Sie zeigt, was frau so drunter trug

RheinNeckarZeitung Online

„Lachsfarben” war bei weiblicher Unterwäsche in den fünfziger Jahren der letzte Schrei. Der ertönte aus Frauenmund jetzt auch mehr als nur einmal im Museum der Stadt angesichts der in Glasvitrinen ausge­stellten „Panzer”, die vor noch nicht allzu langer Zeit die Körper der Damen einschnürten und umhüllten. (keke)

Zum 125. Geburtstag der Mannheimer Mieder­warenfabrik „Felina” hat Museumsleiterin Claudia Buggle mit Unterstützung der Vorsitzenden des Vereins „Rhein-Neckar-Industriekultur”, Barbara Ritter, eine Ausstellung zusammengetragen, die „im Dienste der schöneren weiblichen Figur” noch bis zum 18. Dezember all das zur Schau stellt, was die Damenwelt seit eineinviertel Jahrhunderten „darunter” trägt.

„Heiße Fotos” an den Wänden des Treppenaufgangs zur oberen Etage stimmen auf das ein, was den Besucher dort erwartet: Die Geschichte von Korsage und Korsett, Corselet und Hüftgürtel, Damen-Unterwäsche und Büstenhalter. Letzterer von Claudia Buggle als ein „Wäschestück” definiert, das „die weibliche Brust gegen die Schwerkraft stützen, formen und dekorieren” soll. Was „Felina” bis heute gelingt. Das 1885 von Eugen Herbst in Rappenau als Korsettnäherei gegründete und fünf Jahre später als Korsettmanufaktur nach Mannheim umgezogene Traditionsunternehmen hat den BH zwar nicht erfunden, aber bereits 1914 seinen ersten Trikot-Büstenhalter unter dem Namen „Felina” („Kätzchen”) angemeldet.

Wenig später erregte Felina als Vorreiter mit dem „atmenden Büstenhalter” und „BH mit elastischen Trägern” ebenso Aufsehen wie 1968 mit der leichtbekleideten Uschi Glas. Als Werbeikone offenbarte die Schauspielerin einem Millionenpublikum im Felina-BH frivol „Uschis Schätzchen”.

Neben den „Lachs-Schnitten” im Stadtmuseum machen Dutzende von Zeichnungen der Werbegrafikerin Edith Lindenmeier Appetit. Durch Zufall wurden die in Aktenordnern abgehefteten Originale auf einem Dachboden entdeckt. Doch die Ausstellung zeigt noch mehr: Fotografien aus dem in der Mannheimer Neckarstadt gelegenen Werk von damals und heute ebenso wie Felina-Anzeigen aus 125 Jahren Firmengeschichte. 1893 wurde dem Unternehmen eine Kartonagenfabrik angegliedert. 1907 kam eine Metallwarenfabrik zur Herstellung der Hakenbänder, Schließen und Stäbchen hinzu. In seiner Glanzeit zählte das Unternehmen mehr als 2500 Beschäftigte. 90 Prozent der Belegschaft bestand aus Frauen. Barbara Ritter: „Felina wurde zum Vorreiter für Frauenarbeit in Mannheim”.

1944 wurden die Fabrikanlagen durch einen Bombenangriff fast vollständig vernichtet. Doch der Wiederaufbau gelang. Mehr als 250 Felina-Produkte werden heute weltweit in 60 Ländern vertrieben, in der Produktion Monat für Monat rund 25 Tonnen Metall in Stäbe, Spiralen, Beschläge, Verschlüsse und Haken verwandelt. In den 1970er Jahren erklomm Felina Rang zwei im deutschen Miedermarkt - und wurde 1982 von einer Schweizer Investorengruppe übernommen. Mannheim ist bis heute operative Zentrale geblieben. Produziert wird allerdings ausschließlich in osteuropäischen Ländern.

Ausflug zu Quartieren der Arbeiter

Mannheimer Morgen

Verein Industriekultur startet Bustour

Zu einem Ausflug in die proletarischen Wohnwelten vergangener Zeiten im Mannheimer Norden lädt der Verein Rhein-Neckar-Industriekultur am Samstag, 22. Oktober, ein. Bei der Bustour zu den geschichtsträchtigen Orten werden sieben Quartiere angesteuert. Erklärungen gibt die Denkmalpflegerin der Stadt, Dr. Monika Ryll.

Die Siedlungen wurden zwischen 1865 und 1920 von Industriebetrieben wie Drais, Bopp & Reuther, der Jute-, Papyrus-, Zellstoff- und Spiegelfabrik als Werkswohnungen errichtet, die Stadt baute die Gaswerksiedlung. Die Behausungen wurden nicht nur in verschiedenen Stilrichtungen ausgeführt, sondern sind auch in ihrer Anlage unterschiedlich: Vom Typ „Kasernen” über „gediegene Backstein-Stadthäuser”, „Reihenhaus-Kolonie” bis „ländliche Idylle” ist alles vertreten.

Sie waren zu ihrer Entstehungszeit Ausdruck unternehmerischer Fürsorge für die Wohn- und Lebensverhältnisse der Arbeiterschaft – zumindest eines Teils der Belegschaften. Die Wohnungsnot war so drückend, dass in den Siedlungen nur sieben Prozent der gesamten Mannheimer Arbeiterschaft Unterkunft fand.

Siedlungen mit Geschichte 

Viele der Werke, zu denen die Wohnungen gehörten, existieren heute nicht mehr. Die Siedlungen – oft auch nur ein Rest – sind nun meist in privater Hand, häufig denkmalgeschützt und teilweise mit hohem Standard renoviert.

Die Busfahrt mit vielen Zwischenstopps dauert dreieinhalb Stunden. Tickets zu zwölf Euro gibt es ab sofort bei der TouristInfo in Mannheim, Willy Brandt-Platz 3 beim Hauptbahnhof. Abfahrt ist am 22. Oktober, 14 Uhr, am Collini-Center (Neckarseite). Red

Neun Gaslaternen leuchten

Mannheimer Morgen

Einstimmiger Beschluss zur Umrüstung von 142 alten Straßenlampen auf eine energieeffiziente Stadt­beleuchtung

Bis kurz vor der Sitzung des Gemeinderates wurde noch heftig verhandelt. Dann waren sich alle einig: Mannheim behält neun der alten Gaslaternen in der Reiherstraße in Käfertal. Auf dem Reiherplatz werden außerdem neun elektrifizierte Lampen in historischer Form installiert, das Ensemble der denkmalgeschützten Reihersiedlung soll so in seiner jetzigen Form erhalten bleiben.

142 andere alte Straßenleuchten im Stadtgebiet werden ebenfalls künftig elektrisch betrieben, sollen aber möglichst auch ihr Aussehen mit der historischen Mastform behalten. Damit ist nach einer monatelangen Diskussion zwischen Stadtverwaltung, Gemeinderat, Bezirksbeiräten sowie zahlreichen Bürgern in den betroffenen Stadtteilen eine politische Entscheidung gefallen.

Der „Glatzkopp” in Seckenheim wird 100 Jahre

WOCHENBLATT Mannheim
Mannheimer Wochenblatt Sept. 2011

Unternehmer renoviert Wasserturm – Europas einziges Aufzugsmuseum

Veit Lennartz

Wenn es darum geht, einen passenden Namen zu finden, waren die Mannheimer noch nie verlegen. Und so wurde aus dem Seckenheimer Wasserturm der „Glatzkopp“, weil er eine runde Kuppel hat. Im September wird der „Glatzkopp“ nun 100 Jahre.

Glück hat er gehabt, dass er so alt werden durfte, denn andernorts, zum Beispiel auf der Rheinau, wurden die Wassertürme dem Erdboden gleich gemacht. Der schönste von allen steht am Friedrichsplatz – und wäre fast auch abgerissen worden. Heute ist er das Wahrzeichen Mannheims.

Aber der Seckenheimer mit seinem außergewöhnlichen, schlichten Jugendstil braucht sich nicht zu verstecken. Wie gesagt, er hat Glück gehabt. Und das hat er einer besonderen Familie zu verdanken: den Lochbühlers.

Die Firma Lochbühler, die es seit 1873 in Mannheim gibt, baut Aufzüge und ist heute das größte Aufzugsunternehmen der Metropolregion. Damals, 1911, war die Firma mit den Schlosserarbeiten des Wasserturms beauftragt und Carl Lochbühler, gerade elf Jahre alt, half mit, das Treppengeländer anzubringen.

Bis 1954 war der Seckenheimer Wasserturm in Betrieb, dann gammelte er vor sich hin und keiner wollte ihn haben. Wozu auch. Der Abriss drohte. Da griff die Unternehmer-Familie Lochbühler in alter Anhänglichkeit zu und kaufte den Turm 1978. Elf Jahre später, zum 90. Geburtstag von Carl Lochbühler, wurden die beiden Dachgeschosse mit Rundum-Fenstern saniert, ein Panorama-Fahrstuhl installiert, die Schäden insgesamt repariert. Und für den Senior gab es ein ganz besonderes Geschenk zum Geburtstag: die Lichter im Kuppelgewölbe zeigen die Sternenkonstellationen vom 31. Juli 1899, also dem Geburtstag von Carl, der ja damals am Aufbau mitgeholfen hatte.

Der Wasserturm wurde privat von der Firma Lochbühler für Firmenfeste und Fachtagungen genutzt. Und ein kleines Museum für Aufzüge entstand. Doch der Zahn der Zeit nagte am „Glatzkopp”, der inzwischen unter Denkmalschutz stand. Herunterfallende Betonteile, nicht ausreichender Brandschutz, bröckelnde Fassade: Der Wasserturm bedurfte der Generalsanierung. Die nahmen Familie und Firma Lochbühler in Absprache mit dem Landesdenkmalamt und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz auf sich. Nach historischen Vorlagen wird seit Februar verputzt, die Treppe im Inneren erneuert, ein Fahrstuhl eingebaut, es gibt einen Sicherheitsraum und Brandmelder werden installiert.

Das Museum erhält zwei zusätzliche Ausstellungsebenen und wird damit auf 300 Quadratmeter erweitert. Es ist das einzige Aufzugsmuseum Europas und wird funktionsfähige Aufzüge und deren Geschichte ab Beginn des letzten Jahrhunderts zeigen. Ein spezieller Museumsdesigner ist dafür engagiert worden. Im September soll der 38 Meter hohe Turm ohne Gerüst da stehen und Anfang nächsten Jahres soll dann auch das neue Museum eröffnet werden.

Eigentlich hätten die Lochbühlers ihren „Glatzkopp” gerne beim 100. Geburtstag im September vollständig gehabt, aber da alles in Eigenleistung von Firma und Familie erbracht wird, ist man in Verzug geraten, denn das Unternehmen muss ja seine eigentlichen Aufträge fristgerecht erfüllen – das sind pro Jahr etwa 100 neue Anlagen und die Wartung von über 5000 Aufzügen.

Ganz bewusst soll das ungewöhnliche Jugendstilgebäude in Seckenheim in seiner neuen Pracht die Bewerbung Mannheims als europäische Kulturhauptstadt unterstützen. Der „Glatzkopp”: nicht nur ein Wasserturm, sondern ein „kultureller Leuchtturm” in der Metropolregion.

Perrey prägte Mannheims Gesicht

WOCHENBLATT Mannheim

Selbst aus Kläranlagen machte er noch Kunstwerke – aber er war umstritten. Von Veit Lennartz

Was hat das Klohäuschen auf dem Lindenhof mit dem Herschelbad zu tun? Eigentlich nichts. Und dennoch: Sie sind vom selben Baumeister erbaut worden. Von Richard Perrey, der wie kaum ein anderer das Gesicht Mannheims geprägt hat. 122 markante Bauwerke sind in seiner Zeit als Stadtbaumeister zwischen 1902 und 1918 entstanden, so auch die Städtischen Krankenanstalten und 21 große Schulen, von denen die imposanteste, an den schon vorher bestehenden Wasserturm angebaut, auf dem Luzenberg steht.

Die zehn Klohäuschen, „Abortgebäude” nannte man sie damals, sind dabei eher eine Randerscheinung, aber Mannheims Bürger wird es gefreut haben, flächendeckend mit stillen Örtchen versorgt zu werden.

Perrey machte aus jedem seiner Gebäude ein kleines Kunstwerk – mit heftigen Anleihen bei der Gotik, bei Barock, Renaissance und Jugendstil. Am liebsten gemischt. Rückwärtsgewandt sei er, dem Neuen nicht aufgeschlossen, zu monumental, hieß es damals. Das sieht man inzwischen sehr viel gnädiger: Viele seiner Gebäude stehen unter Denkmalschutz, und es haben sich sogar Initiativen gebildet zum Erhalt wie beim Herschelbad.

Oder zum Beispiel Dietmar Brixy, der mit viel Liebe zum Detail das Klärwerk in Neckarau restauriert und dort sein Atelier mitsamt Wohnung eingerichtet hat. Die Fassade erinnert eher an eine Kathedrale als an profanes Schmutzwasser, das dort einmal gereinigt wurde. So waren es auch immer die Zweckbauten, die unter Perrey zu regelrechten Prachtgebäuden wurden, sehr verspielt mit Giebeln, Erkern, Vorsprüngen, Ornamenten und imposanten Eingängen.

Die Elektrizitätswerke im Hafen und in Rheinau liegen da wie Kirchenschiffe. Manche Gebäude sind fast ein Geheimtipp, wie die Kioske vor der Pestalozzischule und vor der Uhlandschule, die ursprünglich als Polizeiwache dienten.

So historisch die Fassaden anmuten, so modern war die Inneneinrichtung. Von der Belüftung über die sanitären Anlagen, die funktionalen Anordnungen der Räume – alles durchdacht und mit neuester Technik geplant. Das Herschelbad galt bei seiner Einweihung als das modernste in ganz Deutschland. Und die Städtischen Krankenanstalten hatten als erstes Krankenhaus eine Zentralheizung. Wirtschaftlichkeit und Haltbarkeit, dazu ein prächtiges Äußeres, das war die Devise von Richard Perrey.

Es war die Zeit des industriellen Aufschwungs in Mannheim, die Stadt boomte. Mehr als vier Milliarden Euro nach heutiger Währung wurden investiert. Was wurde zu Beginn des vorigen Jahrhunderts nicht alles gebaut: Pumpwerke, Kläranlagen, Straßenbahnhallen, Krankenhäuser, Schulen, Bäder, Leichenhallen und vieles mehr.

Viel übrig geblieben ist nicht. Zahlreiche Bauwerke wurden im Krieg zerstört und was nicht kaputt war, stand bei Kriegsende oft im Weg herum und wurde abgerissen und durch Neubauten ersetzt. In einigen Fällen verhinderten Bürgerinitiativen den Abriss, wie bei der Alten Feuerwache, die heute ein zentraler Ort für Kulturveranstaltungen ist.

Richard Perrey, der seine Laufbahn als Baumeister in Stettin begonnen hatte, musste seinen Stuhl als Hochbauamts-Chef allerdings 1918 räumen. Inzwischen hatte sich zu viel Unmut angesammelt. Denn Perrey sei autoritär und selbstherrlich, so die Kritik, ein kompromissloser Kontrollfreak und überhaupt ein „Festungsbaumeister”.

Während in der Kunsthalle der Begriff der „Neuen Sachlichkeit” geprägt wurde und das „Bauhaus” seine Schatten voraus warf, wirkte Perrey wie ein Fossil. Er durfte seine Bauten noch verwalten und schied 1923 aus den städtischen Diensten aus.

Während der Weimarer Republik war er Stadtverordneter der Deutschnationalen Volkspartei. Der Stadt Mannheim hat er ein bemerkenswertes bauliches Erbe hinterlassen.

Mit fast ländlichem Charakter

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Das erste Mannheimer Klärwerk war bis 1973 in Betrieb – Nun als Atelier genutzt. Von Veit Lennartz.

Man hatte es kommen sehen, denn das konnte auf Dauer ja nicht gut gehen. Bis 1900 leitete die Stadt Mannheim, wie andere Gemeinden übrigens auch, ihr Abwasser noch ungesäubert in den Rhein. Sehr zur Freude ihrer Bürger, denn die brauchten für ihre Abwasserbeseitigung nichts zu bezahlen. Das sollte sich aber bald ändern. Die Stadt wurde von der badischen Landesregierung ermahnt, endlich eine Kläranlage zu bauen. Und am 1. Juni 1905 passierte das, wovor sich die Bürger gefürchtet hatten: in ihren Briefkästen lag eine amtliche Mitteilung, dass ab sofort eine Gebühr für die Benutzung der städtischen Kanäle fällig sei.

Dazwischen lag der Bau des ersten Mannheimer Klärwerks, das zu den Prachtwerken des Stadtbaumeisters Richard Perrey gehört, der zwischen 1902 und 1923 in der ganzen Stadt seine Spuren hinterlassen hat und Zweckbauten in Kunstobjekte verwandelt hat. In der Diffenéstraße, Ecke Einsteinstraße kann man die Bauwerke in Augenschein nehmen, die fast vollständig erhalten sind, obwohl sie 25 Jahre brach lagen. Heute wird das Klärwerk vom Künstler Rüdiger Krenkel als Atelier und von Biotopia als Qualifizierungsbetrieb genutzt.

Bald nach der Anweisung der badischen Landesregierung hatte sich das städtische Bauamt an die Planung gemacht, 1903 erteilte die Wasserpolizei ihre Genehmigung und 1904 begann der Bau. 10.000 Quadratmeter standen zur Verfügung, sechs Klärbecken wurden errichtet, zwei Pumpenhäuser, ein Wasserturm und das Wohnhaus des Klärwerkmeisters. Die Anlage sollte das Schmutzwasser der höher gelegenen Stadtteile Sandhofen, Waldhof und Luzenberg aufnehmen und über das Hebewerk am Ochsenpferch, das gleichzeitig errichtet wurde, sollte das Abwasser der tiefer gelegenen Stadtteile links des Neckars und der Neckarstadt auf das Niveau der Kläranlage hochgepumpt werden.

Wenn man das Gebäude betritt, sieht man hinter der Einfahrt gleich das Wohnhaus des Aufsehers liegen. Das zweistöckige rote Backsteinhaus ist bedeckt mit grün glasierten Ziegeln. Einen fast ländlichen Charakter erhält das Häuschen durch seine vielen Klapp-Fensterläden. Im Haus drinnen ist alles leer. Etwas weiter hinten steht das große Pumpenhaus in norddeutscher Backsteingotik mit Jugendstil- Elementen. Zwei der ehemals drei Pumpen, die zweitweise zum Ausgleich der Wasserspiegel zwischen Klärbecken und Rhein bei Hochwasser eingesetzt wurden, sind noch zu sehen.

Die mit Backsteinen gemauerten sechs Becken sind 48 Meter lang, fünf Meter breit und zwei Meter tief. Die Becken sind miteinander verbunden und können durch einen Schieber einzeln geschlossen werden.

Gereinigt wurde das Abwasser durch Sandfänge, Rechen und Siebe. Der abgesetzte Klärschlamm wurde dann als Dünger vom Pumpwerk durch eiserne Leitungen von rund zwei Kilometer Länge auf die städtischen Äcker und Wiesen jenseits des Hochwasserdamms gepumpt. Das muss ganz schön gestunken haben. Das gereinigte Abwasser wurde durch einen Kanal zum Rhein geleitet und auf die Fluss- Sohle gepumpt.

Bis 1973 war das Klärwerk noch in Betrieb, dann wurde eine neue Anlage in Sandhofen gebaut, ein nüchterner Zweckbau.

Unscheinbares Kulturdenkmal

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Zwei Pegelhäuschen in der Region. Von Veith Lennartz

Über 100 Objekte beschreibt der Verein Rhein-Neckar Industriekultur (RNIK) auf seiner Homepage. Bauwerke, die für die Industriegeschichte des Rhein-Neckar-Raums stehen. Besonders auffällig sind natürlich solche Zeugen der Vergangenheit, die allein durch ihre schiere Größe auffallen, wie die Kauffmann-Mühle im Jungbusch oder die verschiedenen Wassertürme der Region.

Heute wollen wir uns ein eher unscheinbares Kulturdenkmal anschauen. Wer im Rheinauer Hafen von der Rhenaniastraße in die Graßmannstraße einbiegt, sieht erst mal riesige Schrottberge und einen wuchtigen Kran der Firma Hettinger Schrott. Daneben Gebäude des Staatlichen Hafenamts und der Wasserschutzpolizei. Dann eine Freifläche des GKM mit Sand- und Schuttbergen und am Ende der Straße die Treppen zum Graßmannsteg, der über das Hafenbecken 21 führt.

Da, fast vom Steg verschluckt, steht ein kleiner Turm: zehn Meter hoch und fünf Quadratmeter in der Fläche, mit zwei merkwürdigen Zifferblättern. Eher unspektakulär, mit Sandstein untermauert und einem Holzaufbau, das Dach mit einem spitzen Helm aus Kupfer. Und das soll ein geschütztes Denkmal sein? In der Tat, das Pegelhäuschen ist 110 Jahre alt, gebaut von der Mannheimer Firma F&A Ludwig. Für die Schiffe auf dem Rhein war die Wasserstandsanzeige wichtig wegen Untiefen und Strömungen. Nur, diese Pegeluhr stand einen Kilometer weit im Hafen und war für die Schiffe auf dem Rhein nicht zu sehen. Deshalb musste der so genannte Pegelspringer den Wasserstand ablesen, zur Hafenspitze rennen und die Zahl auf eine große Tafel schreiben. Das Pegeltürmchen war bis 1965 in Betrieb, natürlich mit modernisierter Technik. Den Pegelspringer gab es allerdings schon lange nicht mehr. Das Pegelhäuschen ist als einziges historisches Pegelhaus aller Mannheimer Häfen erhalten geblieben.

Nachdem es zu verfallen drohte, machte der Rheinauer Heimatverein Druck, und so wurde es 1985 renoviert. Allerdings erst, nachdem die Stadt eine Auflage erfüllt hatte. Auf dem Graßmannsteg der auf Betonpfeilern massiv direkt oberhalb des Häuschens vorbeiführt, musste eine Sichtblende angebracht werden, weil die Buben immer mit Steinen auf das Dach geworfen haben. Zwei Pegeluhren sind noch zu sehen, mit römischen Ziffern von null bis neun. Ein neuer Anstrich würde dem kleinen Kulturdenkmal sicher gut tun.

In Sachen Pegeluhr ist Ludwigshafen den Mannheimern eine Nasenlänge voraus. Offensichtlich gab es um 1900 auf der anderen Rheinseite mehr Geld. Da wurde nach den Plänen des königlichen Straßen- und Flussbauamtes Speyer auf der Parkinsel an der Kammerschleuse eine Pegeluhr errichtet, die ganz aus Sandstein gemauert ist. Reich verziert mit vier Zifferblättern, von weitem so ein bisschen wie Big Ben in London. Die Pegelmechanik ist noch funktionsfähig, allerdings nicht mehr geeicht und damit auch nicht mehr amtlich.

Als der Strom in die Stadt kam

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Zwei E-Werke brachten die Industrie Mannheims auf Trab. Von Veit Lennartz.