Ehem. Rheinische Strohstoff-Fabrik Rheindürkheim

Rheindürkheim war bis Anfang der 60er Jahre Standort einer der ältesten und größten Strohzellstoff-Fabriken in Westdeutschland. Stroh ist als Rohstoff für die Pappenherstellung älter als der heute nahezu ausschließlich verwendete Holzzellstoff. Der Strohzellstoff deckte zeitweise fast den gesamten Bedarf in Deutschland ab. Wie bedeutend die Strohstoff AG in ihren Hochzeiten war, zeigt sich daran, dass sie 1917 der größte Steuerzahler des Kreises Worms war. Man erzeugte nach eigener Aussage (1905) „Prima hochgebleichten Strohstoff in feuchtem und trockenem Zustande.“

Die Fabrikanlagen erstrecken sich vom Rhein, wo eine eigene Umschlagsanlage für die Anlieferung mit dem Schiff bestand, bis weit in das heutige Industriegebiet Worms Nord II. Das Stroh wurde in großen Mengen per Schiff und per Bahn angeliefert und zu Zellstoff für Papier und Kartonagen verarbeitet. Wegen des wasserintensiven Verfahrens war der Standort am Rhein vorteilhaft, über die eigenen Brunnen schöpfte man bis zu 24.000 cbm pro Tag.

Verbliebene Gebäude sind eine kleinere Produktionshalle entlang der B9, mehrere Lagerscheunen in der Mittelrheinstraße. Am Rheinufer sind noch zwei Wasserentnahmestellen und Holzreste der Kaianlage zu sehen. Von den Werkssiedlungen sind die Arbeiterhäuser in der Dammstraße sowie zwei Beamtenhäuser entlang der Hüttenstraße und in der Coswig-Siedlung erhalten.

Nutzung (ursprünglich)

Strohstoff-Fabrik zur Herstellung von Zellulose für die Pappenindustrie

Nutzung (derzeit)

Lagerfläche

Geschichte

Der Franzose Marie Amédée Charles Mellier patentiert 1854 in Paris ein Verfahren um Papier aus Stroh herzustellen. Die maschinellen Herstellungsverfahren werden bis 1882 in den folgenden Jahren in England und Deutschland entwickelt. Bereits 1878 wurde am Standort Rheindürkheim von einem Herrn Bloch die erste Papierfabrik gegründet, er erwarb dafür die vorherige Kartoffelzuckerfabrik Eichrodt (seit 1860) am Rheindürkheimer Fahrt und baute sie entsprechend um.

Die Gründung der Vereinigten Strohstoff-Fabriken AG mit Sitz in Dresden und ihren Werken in Coswig, Rheindürkheimer Fahrt und Dohna erfolgte 1885. Sie übernahm den Standort Rheindürkheim von der Strohstoff-Fabrik Bloch & Offenheimer (ab 1878). Nach dem 2. Weltkrieg verlor das Unternehmen seine Fabriken in der sowjetischen Besatzungszone durch Enteignung (1946). Nun musste eine neue Verwaltung im Westen aufgebaut werden. Die Aktiengesellschaft verlagerte 1948 ihren Sitz nach Rheindürkheim. Man firmierte nun als „Rheinische Strohzellstoff AG Rheindürkheim“ und war eine der größten Strohzellstoff-Fabriken Westdeutschlands.

1930 wurde das Werk Rheindürkheim modernisiert und ausgebaut. Wegen des 2. Welt-krieges ab Ende 1940 ruhte der Betrieb bis Mai 1948. Zu einer Blütezeit kam es dann nochmal in den 50er Jahren: 1950 wurden 20.000 t Zellstoff produziert und 1953 25.550 t. Aufgrund einer ungewöhnlich schlechten Heuernte 1962 trat europaweit eine Verknappung von Heu und Stroh ein, so das der Rohstoff nicht mehr in ausreichenden Mengen und zu wirtschaftlichen Preis zu beschaffen war. Nachdem sich auch 1963 der Strohpreis nicht mehr normalisierte zog sich die Papier- und Kartonherstellung vom Rohstoff Stroh zurück. Der Betrieb wurde stillgelegt, die AG am 29.10.1963 liquidiert. 380 Arbeitnehmer verloren ihre Beschäftigung. Nach der Abwicklung wurden die meisten Gebäude 1967 bzw. die Reste 1971 gesprengt.

Eigene Werksbahn

Obwohl die Bahnstrecke bis Rheindürkheim Rheinufer bereits 1897 gebaut wurde, bekam die Strohstoff-Fabrik einen eigenen Werksgleisanschluss ab dem Rheinkai wohl erst im Jahr 1905. Der Transport in das Werk selbst wurde bis dahin mit Pferdefuhrwerken ab Osthofen Bahnhof oder vom Rheinkai bewerkstelligt. Dies waren 1902 rund 2.000 Güterwagen, vor dem 1. Weltkrieg 4.500 - 5.000 Wagen jährlich. Die Werksgleise umfassten zeitweise insgesamt 8 Kilometer und verbanden nicht nur die Produktionsanlagen, sondern auch mehrere Scheunen und Strohlager westlich der B9. Die Werksgleise querten dazu an zwei Stellen die Bundesstraße 9.

Das Strohzellstoffwerk hatte zunächst eine, dann zwei eigene Dampfspeicherlokomotiven. Solche „feuerlosen“ Dampflokomotiven wurden früher vielfach in Werksverkehren eingesetzt, wo Dampflokomotiven wegen der Gefahr von Funkenflug nicht genutzt werden konnten. Dies war im Zellstoffwerk, wo leicht entzündliches Stroh in großen Mengen vorhanden war, besonders wichtig. Die Übergabe zwischen Reichsbahn, später Bundesbahn und Strohzellstoff erfolgte an der Anschlussgrenze in Höhe des Kohlekrans. Von dort aus zogen die Werksloks die Wagen ins Werk.

Quellen:
  • Åkesson-Aivirein, Lennart (Hrsg.): Lexikon der Papier-Industrie. Deutsch – Englisch – Französisch. Ein Fachwörterbuch für den Bau, Betrieb, Handel und die Korrespondenz der Papier-, Papierstoff- und Pappenfabriken. 2. Aufl., Zürich 1905.
  • Dlugosch, Hans: Unser Rheindürkheim. Beiträge zu seiner Geschichte, eingebunden in Ereignisse der Zeitläufe. Herausgegeben von der Ortsgeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft Rheindürkheim e.V. 2. Aufl. Rheindürkheim 1996.
  • Harthausen, Klaus: Die Altrheinbahn Osthofen – Rheindürkheim – Guntersblum. Geschichte einer rheinhessischen Nebenbahn. Worms-Verlag, Worms 2021.
Bauzeit / Umbauten
1878
Autor*in
Klaus Harthausen
Letzte Änderung
Objektnummer
406
Adresse
Sommerdamm 13
67550 Worms
Geo
49.6880242, 8.3526507
Zufahrt

Pkw: Rheindürkheim, Rheinweg
ÖPNV: Haltestelle Rheindürkheim, Coswig-Siedlung
Fahrrad: Rheinradweg
Sommerdamm 13 (B9)
67550 Worms

Barrierefrei
Ja
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